Unsere Welt ist unruhig geworden. Und daran sind wir oft selbst schuld. Ertragen wir sie nicht mehr, die Ruhe?
Schon bei kurzen Warte- oder Reisezeiten zücken wir unsere Smartphones. Hektisch klicken wir uns durchs Netz, lassen Daumen und Zeigefinger über das leuchtende Display tanzen, immer weiter, zur nächsten Schlagzeile, zum nächsten Katzen-Video oder durch ein weiteres Level bei Candy Crush. Dazu tragen wir Kopfhörer, die uns mit Musik, Podcasts und Hörbüchern dauerberieseln.
Das genaue Gegenteil davon ist Silent Reading – also still lesen.
Mit Silent Reading Partys schwappt ein amerikanischer Trend zu uns herüber – einer der besseren, wie ich persönlich finde.
Denn Silent Reading ist Entschleunigung und Vernetzung zugleich.
Ich habe es ausprobiert und in Zug im Zündhölzli die leiseste Party meines Lebens besucht – und es war nicht die schlechteste.
Wie funktioniert Silent Reading?
Bei einer «Silent Reading Party» versammeln sich Lesende in einer ruhigen Umgebung um – jeder für sich – zu lesen.
Ob das nun Lyrik, der neuste Fantasy Wälzer oder ein Ratgeber ist, sei jedem selbst überlassen.
Also nicht wie bei einem Lesezirkel, in dem alle dasselbe Werk lesen und danach besprechen.
So ein Anlass dauert je nach Veranstalter, eine Stunde lang oder zwei. Vor und nach der Lesezeit bleibt Raum für Gespräche.
Doch so lange die Buchdeckel aufgeklappt sind, gilt; Handy aus Mund zu.
Wozu soll das gut sein?
Wir schaffen es oft nicht mehr, uns bewusst einen Moment für uns selbst zu nehmen. Wir sind Sklaven von To-do Listen und unserer nach Aufmerksamkeit heischenden Smartphones geworden.
Floskeln wie «Achtsamkeit», «Selfcare» und «Me-Time» schwirren uns dauernd entgegen und doch machen wir statt Pause lieber noch schnell die Wäsche.
In unserer Tagesplanung fehlt der Platz für Ruhe.
Einerseits, weil die Dinge, die uns guttun, oft von den dringenden Dingen, die wir erledigen müssen, verdrängt werden.
Andererseits, weil auf dem Sofa sitzen und lesen sich in einer so produktiven Gesellschaft wie Zeitverschwendung anfühlt.
Doch etwas für sich zu tun ist nie Zeitverschwendung.
Und vielleicht ist es mit Lesen inzwischen so wie mit Sport; manchmal braucht man einfach einen festen Termin und ein paar Mitstreiter.
Die leiseste Party auf der ich je war
In meiner Nähe ist es selten still.
Doch als mich ein Reporter der «Zuger Woche» für ein Interview besuchte, erzählte er mir von seinem bevorstehenden Artikel über eine Silent Reading Party.
Davor hatte ich noch nie von so einem Angebot gehört.
Er legte mir als Autorin dringend ans Herz, mal dort reinzuschauen.
Ob ich den Gedanken, mich mit wildfremden Menschen eine Stunde lang in einen Raum zu setzen, um lautlos vor mich hin zu lesen, schräg fand? Aber so was von!
Und doch war meine Neugierde geweckt und ich beschloss diese Party, die ganz ohne fette Beats auskommt, zu besuchen.
Außerdem wäre es die perfekte Gelegenheit, endlich das Buch, das schon länger auf meinem Nachttisch verstaubte, fertig zu lesen.
Nach den Ferien war nämlich plötzlich immer irgendwas dringender als das.
Oder ich war zu faul und habe lieber die Glotze angemacht.
Stühlerücken, der eine oder andere Platzwechsel, ein Räuspern, dann tauchten alle in die Welten zwischen den Buchdeckeln ein.
Eine Stunde lang.
Und ja, irgendwie war es befremdlich – aber nur anfangs.
Zwischen Seitenrascheln und den Geräuschen des Busbahnhofs vor dem Fenster stellte sich bald eine andächtige Gemütlichkeit ein.
Die Zeit verging wie im Flug und es war schön, sich mit jemandem danach noch über das Gelesene austauschen zu können.
Im Vorfeld hätte ich das wirklich nicht erwartet, aber es hat mir so gut gefallen, dass dies bestimmt nicht meine letzte stille Party war.
Wo gibt es denn so was?
Sogenannte «Silent Reading Partys» oder «Silent Reading Raves» werden an verschiedenen Orten veranstaltet.
Bei uns im Kanton Zug findet jeden ersten Montag des Monats um 18:00 Uhr ein solches Treffen statt.
Der Veranstaltungsort, das «Zündhölzli», liegt direkt am Zuger Bahnhof und man kann ohne Voranmeldung mit seinem Buch unter dem Arm dazustossen.
Du wärst zu dem Zeitpunkt in der Gegend, hast dein Buch aber nicht dabei?
Man kann sich dort auch eines ausleihen, sie haben extra eine kleine Bibliothek.
Natürlich könnte man auch im eigenen Freundeskreis eine stille Party veranstalten.
Etwas Knabberzeug, ein paar Kissen – fertig ist die Vorbereitung. Und den teuren DJ könnte man sich auch sparen 😉 …
Wenn du jetzt Lust auf gemeinsames Lesen hast, aber kein Buch, ich hätte da einen wirklich entspannenden Roman geschrieben 😉 …
Hallo liebe Edith,
was für ein wundervoller Artikel.
Vielen lieben Dank das du mich auf diesen neuen Trend aufmerksam gemacht hast
Ich habe gleich gegoogelt ob es so ein Treffen auch bei mir in Lübeck gibt.
Und ja das gibt es tatsächlich.
https://www.luebeck-tourismus.de/event/silent-book-clubr
Mal schauen ob ich es mit den Kids schaffe.
Viele liebe Grüße
deine Schreib-Freundin Sandra
Hallo Sandra
Ja, es ist wirklich eine schöne Stimmung.
Und ich hatte bei jedem Mal ganz tolle Begegnungen.
Grüessli, Edith