Bei einem Gesundheits-Check wurde mir eine leichte Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert. Alle anderen Werte waren gut, ich trug es also mit Fassung.
Als ich dieses Thema allerdings bim Kaffeeklatsch mit meinen Freundinnen zur Sprache brachte, beide beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Gesundheit, redeten sie mir ins Gewissen.
Ernstnehmen müsse man das. Auf keinen Fall nur der Schulmedizin vertrauen.
Das Zauberwort hieß, da waren sie sich einig, Ayurveda.
Natürlich hatten sie den passenden Arzt, der Ayurveda-Arzt, dem meine Frauen vertrauen, schon für mich im Visier.

Dieser sagenumwobene Mann hatte seine Praxis allerdings nicht gerade bei mir um die Ecke.
Die Lösung all meiner Probleme, unter anderem ein seit Monaten angeschwollener Fuß, und mein stetiger Begleiter, das Übergewicht, sollten mir eine einstündige Fahrt wert sein, war man sich einig.

Ich machte einen Termin.
Da ich meinen schlechten Orientierungssinn kannte, brach ich sehr früh auf.
Ich tippte die Ortschaft in unser Navi ein, die Straße könne ich mir sparen, es sei gleich neben der Kirche, nicht zu verfehlen, hatte der Arzt mir am Telefon versichert.
Ich machte mich auf den Weg. Ab und zu fand ich die Route etwas sonderbar, doch dies schrieb ich meinem schon erwähnten, wirklich miserablen Orientierungssinn zu.

Dort angekommen fand ich die Kirche nicht.
Es war eine kleine Gemeinde, dort eine Kirche zu übersehen war selbst für mich praktisch unmöglich.
Kein Problem, mir blieb noch eine Viertelstunde Zeit bis zu meinem Termin.
Ich gab nun doch die vollständige Adresse ins Navi ein. Es berechnete die Route.
Ich würde mein Ziel in 58 Minuten erreichen.
Das war selbst für mich als erfahrene im Kakao-herum-Fahrerin ein Schock.
Ich war über eine Stunde an einen komplett falschen Zielort gefahren.
Dieses Dorf gab es tatsächlich doppelt.
Und natürlich stand ich im falschen.

Ich rief den Arzt an, der bereit war, mich trotz einer Stunde Verspätung zu empfangen.
In seiner Praxis angekommen, einem schlichten mit Räucherstäbchen bedufteten Raum mit farbigen Tüchern an den Wänden, fühlte ich mich fehl am Platz.
Er nahm hinter dem Schreibtisch, auf dem nichts weiter als ein faustgrosser Bergkristall stand, platz.
Ich setzte mich ihm gegenüber auf den harten Stuhl.
Unter dem durchdringenden Blick des in weiß gewandeten hageren Mannes wurde mir warm.
Ich versuchte eine etwas bequemere Sitzposition einzunehmen.
Gemütlich machte man es sich hier nicht.

Ob er meine Zweifel, meine Ungläubigkeit spürte?
Er fragte viel und notierte handschriftlich alles in sein Tablet.
Der Handschrift zufolge war er tatsächlich Arzt.
Danach ordnete er mich einer Ayurvedischen Schublade zu.

Darüber hinaus erzählte er mir, was für ein Mensch ich sei.
Ich muss zugeben, in vielen Dingen behielt er Recht.
Obwohl Sätze wie: «Sie sind stark, haben aber auch schwache Momente und denken viel über die Dinge nach», mich nicht wirklich beeindrucken.
Das trifft schließlich auf fast jeden zu.
Dass ich ein Familienmensch bin, der sich um alle kümmert und immer in Bewegung ist, war auch keine Offenbarung nach dem Vorgespräch, in dem ich mich als Mutter zweier Kinder im Schulalter outete.

Das schlimmste aber kam noch.
Ich hätte einen gestörten Fettstoffwechsel.
Auch das kein Hexenwerk herauszulesen, ich bin nicht gerade eine Gazelle.
Er legte das Tablet beiseite und kramte in einer Schublade.

Mit einem väterlichen Lächeln händigte er mir eine Liste mit gefühlt allen Lebensmitteln aus, die ich nicht mochte oder von denen ich keine Ahnung hatte, wie man sie zubereitete.
Und es ehrlich gesagt auch nicht wissen wollte.
Dies seien die Dinge, die mir guttäten. Darum sollte ich nur noch diese Speisen zu mir nehmen.
Fleisch in geringen Mengen sei erlaubt, jedoch nur von kleinen Tieren, die sich schnell fortbewegen.
Ratten? Eidechsen? Kakerlaken?

Und statt Kaffee, jeden Morgen auf leeren Magen eine Tasse heißes Ingwerwasser.

Was soll ich sagen? Ich werde den Weg zu ihm wohl kein weiteres Mal finden.
Genau so wenig wie diese Liste.

 

3 Kommentare

  1. Liebe Edith, vielen Dank für diese wirklich amüsante Beschreibung deines Ayurveda-Experiments. Wie schade, dass du so einen schwierigen Einstieg mit dem Ayurveda hattest. Gerade dass Gefühl in eine Schublade gesteckt worden zu sein macht mich traurig, denn eigentlich wird im Ayurveda im Gegensatz zur Schulmedizin der Mensch vielmehr als Individuum gesehen. „Leben im Einklang mit deiner Natur“ heißt für mich auch, dass du dir aus dem Empfehlungen einfach das raussuchst was in dein Leben passt und dir schmeckt. Vielleicht habt ihr ja nochmal eine zweite Chance, der Ayurveda und Du…

  2. Liebe Edith, Wenn’s Dir nicht wirklich passiert wär, wärs oberlustig! Du hast mich voll reingezogen in Deine Geschichte. Ich war jede Sekunde bei Dir! Da hast Du ja eine Grusel-Ersterfahrung mit Ayurveda gemacht. Bringt es DAnach was zu sagen, dass es MEGA-Ayurveda-Ärzte gibt? Ich habe Super-Erfahrungen gemacht, aber wie der Arzt mir von meinem geliebten Suchtmittel No. I (Pommes!) abriet, passt zu Deiner Geschichte. Whhaaaat?
    Ich hab die Story deines Romans nicht auf dem Zettel, aber das hier, das klingt für mich. (vielleicht?) Wie eine kleine Szene daraus? Ich sehe die Protagonistin, der fortan überall Ingwerwasser begegnet (muuuhaha) … Liebe Grüße, Birgit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Kommentieren